Für die meisten Frauen kommt der Verlust ihrer Handtasche einer kleinen Katastrophe gleich. In ihr befinden sich schließlich für gewöhnlich nicht nur Make-up, sondern auch Haustürschlüssel, Portemonnaie und Smartphone. Kurz gesagt: Das Abhandenkommen hat ziemlich schmerzliche Konsequenzen. Genau das musste die junge Britin Daisy Owen nun am eigenen Leib erfahren.
Nach einem geselligen Abend mit ihren Freunden konnte Daisy ihre Handtasche nicht mehr finden. Doch als sie schon fast die Hoffnung aufgeben und sich notgedrungen um ein neues Schloss für ihre Wohnung kümmern wollte, erhielt sie von einem Freund über Facebook eine überraschende Nachricht: Ein Obdachloser war auf der Suche nach ihr.
Paul Calderbank, so sein Name, war zwei Tage zuvor auf die Handtasche der jungen Frau gestoßen. Anstatt den Inhalt jedoch für sich zu behalten oder das Smartphone im Wert von umgerechnet rund 340 Euro zu verkaufen, entschied er sich, den Besitzer ausfindig zu machen – nicht einmal eine warme Mahlzeit gönnte er sich. Er ging die Straßen um den Fundort herum immer wieder auf und ab. Er fragte alle Passanten, ob sie Daisy kannten. Nur per Zufall traf Paul dann tatsächlich auf einen von Daisys Bekannten.
Nachdem Daisy die Nachricht erhalten hatte, machte sie sich sofort auf den Weg. „Ich konnte Paul zuerst nicht finden, aber dann sah ich drei Obdachlose und ging zu ihnen. Einer von ihnen war tatsächlich Paul! Er fragte mich erst nach meiner Adresse, um sicherzugehen, dass ich auch der rechtmäßige Eigentümer bin. Dann brachte er mich noch nach Hause.“ Man konnte Paul richtig ansehen, wie stolz er war.
Daisy konnte ihr Glück kaum fassen. Sie war von der Gutherzigkeit des Mannes vollkommen überwältigt. „Unglaublich, dass er tatsächlich zwei ganze Tage damit verbracht hat, mich zu suchen, um mir die Tasche persönlich überreichen zu können. Wäre ich in seiner Situation gewesen, hätte ich sie wahrscheinlich verkauft.“
Warum sich Paul solch große Mühe gegeben hatte, die Tasche zurückzugeben, erklärte der Mann in einem handgeschriebenen Brief, den er während der Suche immer bei sich trug:
„An den Besitzer der Handtasche, des Portemonnaies und des Handys, die ich heute Nacht gefunden habe: Ich habe versucht, das Handy einzuschalten, um den Namen herauszufinden, damit ich alles zurückgeben kann. Ich wollte es keinem in der Stadt sagen, ich kann keinem trauen. Niemand sollte glauben, ich wollte die Tasche behalten.
Ich stehle nicht. Ich bin seit vielen Jahren eine ehrliche Haut. Zum Glück habe ich es mit den Habseligkeiten zurück ins Hostel geschafft. Am nächsten Morgen werde ich mich wieder auf die Suche nach dem Besitzer der Tasche und des Inhalts machen. Das ist mittlerweile die zweite Tasche, die ich in der Gegend gefunden habe, und ich möchte auch diese dem Eigentümer wiedergeben.
Ich bin jetzt ein ehrlicher Mensch. Ich bekomme ein richtig gutes Gefühl, wenn ich das Richtige mache. Ich habe auch keinen einzigen Cent aus dem Portemonnaie entwendet.“
Um Paul für seine Ehrlichkeit zu belohnen, startete Daisy eine Spendenkampagne. Mit dem gesammelten Geld – mittlerweile über 3.600 Euro – möchte sie ihm ein festes Dach über dem Kopf, Winterbekleidung und warmes Essen besorgen.
Daisy kann ihre Dankbarkeit noch immer kaum in Worte fassen. „Ich habe den Glauben an die Menschheit wiedererlangt.“ Für Paul hätte es ebenfalls kaum besser laufen können. Ehrlich währt eben doch am längsten!