Wie würde man sich fühlen, wenn man nach der Geburt eines Kindes jahrelang unter Schmerzen leidet – und dann erfährt, dass der eigene Arzt dafür verantwortlich ist?
Genau das musste die 23-jährige Hannah erleben. Bei der Geburt ihres ersten Kindes musste bei ihr ein Dammschnitt gesetzt werden. Dieser Eingriff ist weder ungewöhnlich noch besonders gefährlich. Direkt nach der Entbindung wird der Schnitt vom Arzt routinemäßig genäht.
Doch manche Ärzte nutzen diesen Moment offenbar, um etwas zu tun, das zutiefst frauenfeindlich ist und inzwischen zum Glück als medizinisches Berufsvergehen geahndet wird. Es hört sich an, wie ein gruseliger moderner Mythos, aber den sogenannten „husband-stitch“ (auf Deutsch: Ehemann-Stich) gibt es tatsächlich!
Der „husband-stitch“
Wenn der behandelnde Arzt tatsächlich den Ehemann-Stich anwendet, dann bedeutet dies, dass er beim Zunähen des Dammschnitts ein bis zwei Stiche mehr als nötig setzt, um die Vaginalöffnung der Mutter damit enger zu machen.
Warum sollte man so etwas tun? Die enger genähte Vaginalöffnung soll bewirken, dass der Partner der Mutter künftig mehr Spaß beim Sex hat. Daher der Name Ehemann-Stich: Die unnötige Prozedur dient nicht dem Wohl der Frau, sondern ist allein für ihren Mann gedacht.
Es existieren keine Statistiken darüber, wie oft der zusätzliche Stich genäht wird. Denn wenn es passiert, wird es nirgendwo vermerkt. Doch selbst heutzutage berichten immer noch Frauen darüber, wie sie ohne ihr Wissen und ohne ihre Zustimmung nach der Geburt zu eng vernäht wurden. Sie wurden schlicht nicht gefragt.
Jahrelange Schmerzen
Frauen, bei denen der zusätzliche Stich gesetzt wurde, haben danach oft bleibende Schmerzen, besonders beim Geschlechtsverkehr.
Auch Hannah litt die nächsten zwei Jahre nach der Geburt ihres Kindes unter solchen Schmerzen. Wenn sie ihrem Arzt – derselbe, der auch die Geburt betreut hatte – davon berichtete, wischte der ihre Beschwerden mit der Begründung beiseite, dies sei nach einer Entbindung völlig normal. Er riet ihr einfach, beim Sex mehr Gleitmittel zu benutzen.
Doch die Schmerzen blieben. Erst als Hannah erneut schwanger wurde und nach einem Umzug zu einer anderen Gynäkologin ging, wurde der Grund für ihre Beschwerden erkannt. Die Ärztin sah so etwas nicht zum ersten Mal. Sie verriet Hannah nicht, was man mit ihr getan hatte, sondern erklärte ihr nur, dass die Vaginalöffnung sehr klein sei und viel Narbengewebe aufweise.
Bei der Geburt war Hannahs verengte Vaginalöffnung nicht groß genug, um das Kind zur Welt zu bringen. Es musste wieder ein Dammschnitt gemacht werden. Doch diesmal wurde die entstandene Wunde korrekt vernäht.
Seitdem ist Hannah beschwerdefrei. Als sie später auf der Internet-Plattform TikTok andere Frauen sah, die von der Praxis des Ehemann-Stichs berichteten, wurde ihr auf einmal klar, was genau mit ihr geschehen war.
Hannah hat keine Möglichkeit, ihren früheren Arzt zur Rechenschaft zu ziehen. Doch sie will, dass Frauen, die ihre Videos ansehen, wissen, dass der Ehemann-Stich kein Mythos ist. Sie rät ihnen, immer auf ihren Körper zu hören und im Zweifel eine zweite Meinung einzuholen.
Die meisten Gynäkologen sagen über sich, dass sie den Extra-Stich selbstverständlich ablehnen und einen Ehemann, der um so etwas bittet oder auch nur darüber scherzt, sofort aus dem Kreißsaal werfen würden.
Schließlich sollte das Wohlbefinden ihrer Patientin die einzige Priorität eines Mediziners sein.
Quelle: brigitte
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