Als Ramona Altamirano aus Córdoba, Argentinien, im Alter von acht Jahren ihren Vater fragte, was mit ihrer Mutter geschehen sei, antwortete er knapp und widerstrebend: „Deine Mutter ist tot. Punkt.“ Sieben Monate nach ihrer Geburt starb Ramonas Mutter angeblich und von da an lebte das Mädchen bei seiner Großmutter, später bei einer Tante.
Ramona wurde älter und begann mehr über ihre Mutter zu erfahren: „Es wurde gesagt, dass sie sich mit meinem Vater zerstritten und uns danach verlassen hatte.“
Einmal sagte eine Cousine von Ramona, dass sie ihre Mutter auf der Straße gesehen hätte, doch ihre Tante unterbrach brüsk das Thema. Ramonas Misstrauen wuchs, doch sie traf die Entscheidung, mit ihrem Leben fortzufahren, und heiratete. Vier Kinder bekam sie mit ihrem Ehemann Enrique.
Im Laufe der Jahre schloss sie mit der Sache ab und wollte davon nichts mehr hören, obwohl ihr Mann und ihre Tochter Ivana auf die Suche nach Ramonas Mutter gehen wollten. Sie dachte: „Ich habe so viele Jahre auf sie gewartet und nie ist sie gekommen. Sie muss tot sein.“
Trotz Ramonas Widerwillen fing ihre Familie heimlich an, nach ihrer Mutter zu suchen. Ihr Ehemann Enrique beauftragte einen Privatdetektiv und ihre Tochter Ivana begab sich selbst auf eine zehn Jahre andauernde Suche. Wählerlisten, Kontaktaufnahme mit Damen, die Ramonas Mutter ähnlich sehen, eine Fernsehserie, die nach Vermissten sucht, und sogar Facebook; nichts half.
Letztlich gab Ramona nach und schloss sich der Suche an. Sie überließ ihrer Tochter das einzige Überbleibsel ihrer Mutter, eine Geburtsurkunde und den vollen Namen: Blanca Rosa Taborda.
Ivana ging mit dem Dokument zum Einwohnermeldeamt und kam verblüfft mit einer Adresse zurück. Ohne einen Augenblick zu verlieren, stieg sie in ein Taxi, erklärte dem Fahrer die Geschichte und sie fuhren los.
„Es war eine Pension, mit einem langen Flur. Ich weinte sofort von dem Moment an, als ich sie ankommen sah, bis sie an meiner Seite stand. Sie hatte das Gesicht meiner Mutter, nur um Jahre gealtert. Ich wusste nicht, was ich ihr sagen sollte. So stellte ich mich dann vor und brachte nur heraus: ‘Ich bin die Tochter von Ramona Altamirano, wissen Sie, wer das ist?‘
Sie zögerte einen Moment, nahm tief Luft und antwortete: ‘Wie könnte ich das nicht wissen? Es ist mein kleines Mädchen‘“, erinnert sich Ivana. Der Taxifahrer, bewegt von dieser Szene, nahm das folgende Foto auf:
Genau dieses Foto schickte Ivana an Ramona. Ihr blieb das Herz stehen: Ihre Mutter war am Leben! Nach 54 Jahren durfte Ramona ihre Mutter wiedersehen und wirklich kennenlernen. Zum ersten Mal erfährt sie die ergreifende Geschichte ihrer verschollenen Mutter:
Als Ramona sieben Monate alt war, erkrankte ihre Mutter Blanca schwer und kam ins Krankenhaus. Nach dieser Episode wollte sie zu ihrer Tochter zurück und fand heraus, dass sie nicht mehr bei ihrer Schwiegermutter war. Der Rest der Familie verriet ihr den Aufenthaltsort ihrer eigenen Tochter nicht – sie behandelten Blanca wie eine Aussätzige und schickten sie weg.
Von da an ließ Blanca sich durchs Leben treiben, lebte auf der Straße und bekam zwei weitere Kinder. Als Ivana zu ihr Kontakt aufnahm, verdiente sie mit dem Verkauf von Briefmarken und Kerzen an einem Kirchenportal ihr bescheidenes Einkommen. Trotz ihrer prekären Situation suchte sie weiterhin nach ihrer Tochter und hatte die Hoffnung nie aufgegeben.
Jetzt scheint ihr das Leben eine zweite Chance gegeben zu haben. Im Dezember 2015 reiste Ramona mit ihrer ganzen Familie zu ihrer Mutter. Es stellte sich heraus, dass sie nur eine knappe Autostunde von ihrem Haus entfernt lebte.
Als Blanca ihre Tochter das erste Mal seit 54 Jahren erblickte, sagte sie: „Ich habe dich all die Jahre gesucht, ich habe auf diesen Moment all die Jahre gewartet, ich wollte dich wenigstens einmal vor meinem Tod wiedersehen.“
Für diese beide Frauen, jetzt 56 und 86 Jahre alt, hat ein neues Leben begonnen: Neue Erinnerungen, neue Augenblicke voller Freude erwarten die beiden. 54 Jahre lang blieben sie in der Hoffnung am Leben, einander wiederzusehen.
Was für ein wunderschönes Ende einer Geschichte, die mit so viel Tragödie und einem harten Schicksal begonnen hatte.