Manche Kunstwerke sind so realistisch, dass sie lebendig wirken. Die Detailtreue dieser über hundert Jahre alten Skulptur verschlägt dem Betrachter auch heute noch die Sprache. Wenn man ganz nah herangeht, sieht man Sehnen, Adern und sogar Haare und Nägel. Doch mindestens ebenso spannend und Gänsehaut erregend wie der Anblick der Statue selbst ist ihre Entstehungsgeschichte.
Die lebensechte Skulptur ist das Werk von Hananuma Masakichi, eines japanischen Bildhauers aus dem 19. Jahrhundert. Masakichi war für seine realitätsnahen Puppen berühmt, doch sein Meisterwerk schuf er erst, als er den Tod vor Augen hatte. Als bei dem Künstler eines Tages Tuberkulose diagnostiziert wurde – damals noch eine unheilbare Krankheit –, traf er eine Entscheidung: Er wollte seiner Geliebten ein lebensechtes Selbstporträt schenken, damit sie ihn immer in Erinnerung behalten könne.
Sein letztes Werk sollte keine Statue wie alle anderen werden, sondern gewissermaßen ein Klon seiner selbst. Dafür stellte er zunächst eine Reihe von Spiegeln auf, um seinen Körper genau studieren zu können – aus jeder Perspektive und bis ins kleinste Detail.
Die Detailverliebtheit steigerte sich fast zur Besessenheit: Jeder Quadratmillimeter seiner Haut sollte sich auf der Skulptur wiederfinden, jede Ader, jede Sehne und sogar jedes Haar. Darum versah Masakichi die Statue sogar mit Poren: Er stach mikroskopisch kleine Löcher in das Holz – genau dort, wo er sie auch auf seiner eigenen Haut erkannte. Dann riss er sich die eigenen Haare aus und pflanzte sie der Statue an den entsprechenden Stellen ein. Doch damit nicht genug: Auch Fingernägel und Zähne zog sich der Bildhauer, um sie der Statue einzusetzen. Er verstümmelte sich selbst für die Frau, die er so sehr liebte.
Obwohl sie aus Holz besteht, wurde für die Skulptur kein einziger Nagel verwendet. Sie besteht aus schätzungsweise 2.000 bis 5.000 Holzelementen. Die Einzelteile sind so perfekt zusammengefügt, dass selbst mit der Lupe keine Lücken oder Unebenheiten zu erkennen sind. Der verwendete Lack entspricht genau dem Hautton des Künstlers und schimmert so seidig wie die Haut eines echten Menschen. Fast rechnet man damit, dass sich die Skulptur jeden Moment bewegen könnte.
Als Masakichi sein Meisterwerk auf einer Privatausstellung in seinem eigenen Zuhause vorstellte, unterzog er es einem „Echtheitstest“: Er stellte sich in genau der gleichen Pose neben seine Skulptur. Die Besucher waren sprachlos. Sie konnten den Künstler nicht von seinem Werk unterscheiden. Leider reagierte Masakichis Geliebte alles andere als begeistert auf das kuriose Geschenk.
Der Anblick des gruseligen Liebesbeweises soll die Angebetete so abgestoßen haben, dass sie sich von dem todkranken Künstler trennte. Masakichi sah sie nie wieder. Wie um seine Schmach noch zu steigern, sollte es noch 10 Jahre dauern, bis der gemarterte Bildhauer schließlich 1895 im Alter von 62 Jahren starb. In seinen letzten Jahren bereute Masakichi es zutiefst, sich die Zähne gezogen zu haben.
1934 wurde die Skulptur zum Schleuderpreis von 10 Dollar an den US-amerikanischen Kuriositätensammler Robert Ripley versteigert. Zurzeit kann das Original im Kuriositätenkabinett „Ripley’s Believe It or Not“ in Amsterdam bestaunt werden. Eine Replik der Skulptur steht im Londoner Ripley’s.
Genial, verrückt, gruselig – egal, was man von der Skulptur halten mag: Einzigartig und faszinierend ist sie allemal. Vor allem zeigt das tragische Selbstporträt, welche unglaublichen Strapazen die Menschen für die Liebe auf sich nehmen.