Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es für junge Frauen und Mädchen keine größere „Schande“, als unverheiratet schwanger zu werden. Sie wurden sozial geächtet, verachtet und beschimpft und nicht selten von ihren Familien völlig mittellos vor die Tür gesetzt. Abtreibung war keine legale Option, und sie konnten froh sein, wenn sie die Gelegenheit bekamen, das Kind wenigstens in geschütztem Rahmen zur Welt zu bringen.
Lynne Oakes aus London in England geriet in sehr jungen Jahren in diese schlimme Situation. Sie war in den späten 60er Jahren das Opfer eines erwachsenen Mannes geworden, der es geschafft hatte, sich das Vertrauen des erst 13-jährigen Mädchens zu erschleichen und es dann sexuell zu missbrauchen. Als das Kind schwanger wurde, konnten seine Eltern nicht mit der Situation umgehen und gaben ihre Verantwortung an andere ab.
Lynne wurde in ein Heim geschafft, in dem junge Mädchen, die unverheiratet schwanger geworden waren, ihre Kinder zur Welt brachten. Nur wenige Tage nach der Geburt wurden ihnen die Babys weggenommen und an Adoptiveltern vermittelt. Den Mädchen wurde dabei kein Mitspracherecht gewährt, und was hätten sie auch auf sich allein gestellt mit einem Baby tun sollen? So hatten sie wenigstens die Hoffnung, dass das Kind in ein gutes Zuhause gelangen würde.
Lynne war erst 14 Jahre alt, als sie 1968 in einem dieser Heime ihr Kind gebar. Zehn kostbare Tage lang durfte sie den kleinen Jungen behalten, bevor man ihn ihr nahm. Sie glaubte, sie würde ihn nie mehr wiedersehen.
„Ich hatte ihm Babykleidung gestrickt, lauter hübsche Sachen, um ihn schön warm zu halten“, erinnert sich Lynne heute. „Als er da war, liebte ich es, ihn zu baden, mit ihm zu sprechen und ihm etwas vorzusingen. Zehn Tage lang durfte ich ihn liebhaben.“
Als sie ihn zum letzten Mal fütterte, sagte sie ihm weinend, wie leid es ihr tue, dass sie ihn liebte, und dass sie ihn wiederfinden würde. Dann konnte sie nur zusehen, wie ihr Kind in seinem Bett fortgeschoben wurde.
Lynne wurde erwachsen, sie arbeitete in einer Bank, sie heiratete, hatte aber keine weiteren Kinder. Das Leben ging weiter und 52 lange Jahre verstrichen. Lynne hatte immer wieder versucht, ihr Versprechen zu halten und ihren Sohn zu finden, aber ohne Erfolg.
Doch ihre Mühe zahlte sich schließlich aus. Sie hatte sich unter anderem an die Fernsehshow „Long Lost Family“ gewandt, die darauf spezialisiert ist, verschollene Familienmitglieder wieder aufzuspüren. Im Jahr 2020 hatten die Nachforschungen Erfolg: Michael Cocks, wie Lynne Oakes‘ Sohn jetzt heißt, lebt in der Stadt Thetford im Osten Englands.
Auf die Nachricht, dass man seine erste Mutter gefunden hatte, reagierte er mit großer Freude und ihr Wiedersehen war so glücklich, dass Lynne es kaum fassen konnte.
Michael hat selbst eine erwachsene Tochter und ein Enkelkind. Ellie, wie die Tochter heißt, freut sich für ihren Vater und hat Lynne bereits als Teil der Familie willkommen geheißen.
Lynne Oakes selbst könnte nicht glücklicher sein. „Er hält meine Hand und nennt mich Mama. Es ist, als sei ein Traum wahr geworden“, erzählt sie. Im Alter von 68 Jahren hat sie nicht nur ihren Sohn wieder, sondern mit einem Mal auch eine Enkelin und ein Urenkelkind hinzugewonnen.
Lynnes und Michaels Happy End hat zwar 52 Jahre auf sich warten lassen, aber jetzt haben sie es endlich bekommen.
Quelle: mirror
Vorschaubild: ©Facebook/Long Lost Family – UK