In dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ ist Bill Murray dazu verdammt, einen ganz bestimmten Tag immer und immer wieder zu durchleben. Was in diesem Komödien-Klassiker zu witzigen Szenen führt, war für Sam Tai traurige Realität. Schuld an der tragischen Geschichte des Teenagers aus dem britischen York war ein Rugby-Spiel.
Am 28. März 2016 stieß sich der damals 17-Jährige während eines Matchs den Kopf. Zunächst wirkte alles normal – Sam schien sich keine Gehirnerschütterung zugezogen zu haben und musste nicht zum Arzt geschickt werden. Doch schon in der darauffolgenden Nacht schreckte Sam plötzlich aus dem Schlaf auf, drehte sich zu seiner Freundin um und fragte: „Wer bist du? Raus aus meinem Bett!“ Sofort brachte seine Mutter ihn ins Krankenhaus. Dort konnten die Ärzte zwar keine körperlichen Schäden feststellen, doch der Fall war klar: Sam litt an Amnesie (Gedächtnisverlust).
Wieder zu Hause angekommen, versuchten Mutter und Bruder, Sams Gedächtnis wiederzubeleben, indem sie ihm vertraute Gegenstände zeigten, doch ohne Erfolg: Sams Erinnerung war ein weißes Blatt. Nicht nur Familie und Freunde waren auf einmal Fremde für den jungen Mann – auch er selbst war sich fremd geworden. Sein ganzes Leben, seine Erlebnisse und Interessen waren für ihn wie ausgelöscht.
Aus irgendeinem Grund erinnerte sich Sam trotz seines radikalen Gedächtnisverlusts jedoch an alle Bewegungen und Abläufe, die zum Leben nötig waren. Er konnte normal mit Messer und Gabel essen, sich die Zähne putzen und sogar telefonieren. Auch die Ärzte standen vor einem Rätsel und so blieb Sams Mutter zunächst nichts anderes übrig, als die Nacht abzuwarten und zu hoffen, dass ihr Sohn im Schlaf das Gedächtnis wiederfinden würde. Doch als sie Sam am nächsten Tag weckte, gab es für sie ein böses Erwachen …
Über Nacht schien sich Sams Gedächtnis wieder selbst gelöscht zu haben. Sowohl die Erinnerungen an sein altes Leben als auch die des vergangenen Tages waren wie ausradiert. Die folgende Zeit wurde für Familie Tai die Hölle: Jede Nacht hofften Mutter und Bruder, dass Sam seine Erinnerung wiederfinden möge, nur um am nächsten Tag festzustellen, dass sich sein Gedächtnis wieder auf null gestellt hatte.
Auch für Sam selbst wurden die Wochen nach seinem Unfall zur Qual. Fieberhaft versuchte er jeden Tag, mithilfe von Fotos, Videos und Textnachrichten von Freunden sein altes Ich wiederzufinden. Bruchstückhaft kamen alte Gedankenschnipsel wie Namen oder Telefonnummern zu ihm zurück, doch schnell vergaß er sie wieder.
Der Kampf gegen das Vergessen war eine Sisyphusarbeit, aber Sams Mutter weigerte sich, ihren geliebten Sohn einfach aufzugeben. In ihrer Verzweiflung setzte die Mutter ihre Hoffnung auf eine letzte Karte: den Sport. Vielleicht konnte Sams große Leidenschaft, die ihm seine Erinnerungen geraubt hatte, ihm im Umkehrschluss sein Gedächtnis zurückbringen? Sie arrangierte ein Treffen mit Sams Karate-Trainer, um zu sehen, ob sich ihr sportbegeisterter Junge an die Bewegungsabläufe erinnerte. Und tatsächlich: Sam konnte auf Anhieb 64 Bewegungsmuster problemlos vorführen.
Der erste Schritt zur Besserung war getan. In den folgenden Tagen kamen immer mehr Erinnerungen zurück. In der Überzeugung, dass das richtige Umfeld seine Heilung beschleunigen könnte, schickte Sams Mutter ihre Söhne auf eine Reise. In Begleitung seines Bruders flog Sam zu seinem Vater nach Sri Lanka. Was dort in kurzer Zeit geschah, hatte niemand für möglich gehalten.
Einen Tag nachdem Sam auf Sri Lanka gelandet war, rief er aufgeregt seine Mutter an: „Alles ist wieder da!“ Nicht auf einmal, aber Stück für Stück, berichtete Sam seiner fassungslosen Mutter, sei sein Gedächtnis zurückgekommen. Die Familie ist überglücklich, doch ein Zweifel bleibt: Was, wenn Sam seine wiedergefundene Erinnerung wieder verlieren würde?
Doch die Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet: Sowohl Sams Kurz- als auch sein Langzeitgedächtnis funktionieren wieder tadellos. Auch wenn er sich noch genau an die Phase der Amnesie erinnert, wirken die Wochen des Vergessens für den inzwischen 19-Jährigen wie ein böser Traum. Zurück bleiben die Dankbarkeit für eine Familie, die ihn nie aufgegeben hat, und die Hoffnung auf ein langes Leben voller schöner Erinnerungen.